(Michael Prestele)
Academic Writing
1. Charakteristika des Deutschen als akademische Wissenschaftssprache
Wissenschaftliches Schreiben stellt eine entscheidende Kompetenz für Studium und Forschung dar. Es handelt sich dabei um die Fähigkeit, verschiedene Textsorten nach akademischen Prinzipien der argumentativen Informationsstrukturierung und ‑aushandlung zu verfassen.
Die Charakteristika eines wissenschaftlichen Textes lassen sich auf vier interdependenten Ebenen bestimmen. Dieses pragmatische Gerüst fungiert zudem als Raster zur Bewertung sowie als Leistungshorizont, um aus fremdsprachendidaktischer Sicht die zielsprachlichen und zielkulturellen Konventionen der deutschen Wissenschaftssprache transparent abbilden zu können.
(1) Mikrostruktur: Neben obligatorischer sprachlicher Korrektheit ist die semantische Präzision beim Einsatz eines elaborierten Wortschatzes sowie bei Fachtermini unerlässlich. Ist die Schreibkompetenz hier wenig automatisiert, treten Schwierigkeiten auf anderen Ebenen als Folge kognitiver Überlastung auf (Knorr 2019: 174).
(2) Makrostruktur bzw. Textordnungs- und Informationsstrukturierungsschemata: Deutsche Wissenschaftstexte folgen formal-systematischen Prinzipien. Eine Lesersteuerung wird auf der Makroebene mittels Überschriften und Absätzen erreicht. Sehr prototypisch und zugleich produktiv sind deutschsprachige Texte auf dieser Ebene zudem in Einleitung, Hauptteil und Schluss gegliedert.
(3) Diskursmodus: Sprach- und kulturspezifische Konventionen der textinternen Verknüpfungsprinzipien organisieren den wissenschaftlichen Text. Zu diesen zählen der Modus- und Tempusgebrauch, die beim akademischen Schreiben einer klaren Systematik folgen. Der deutsche Nominalstil bzw. Nominalbildungsmechanismen ermöglichen zudem den Fokus auf nominale Wortarten, welche als objektive Informationsträger einen wissenschaftlichen Diskursmodus begründen. Die Syntax zeichnet sich durch Integration und Komplexität aus, d.h. durch Hypotaxen mit Nebensätzen modaler Art sowie Parenthesen. Im Diskursmodus kommt ferner textuell-pragmatischen Kohäsionsmitteln eine wichtige Rolle zu. Neben eindeutig referierenden Pronomina sind hierbei Konnektoren zur Textstrukturierung und Positionierung von Wissenselementen konstituierend für den akademischen Grad eines Textes.
(4) Kommunikative Grundhaltung: Diese Ebene bezieht sich auf die Evaluation von Wissenselementen und die Schreiber-Leser-Deixis. In einem auf Deutsch verfassten wissenschaftlichen Text ist einerseits die Auseinandersetzung mit Wissen sowie die Positionierung des Schreibenden im Forschungsdiskurs elementar. Andererseits erfordert die dabei erzielte thematische Fokussierung einen hohen Grad an Distanzierung und Objektivität. Die obligatorische Unpersönlichkeit und neutrale Beschreibung erfolgen mit einem weiten Repertoire an Distanzierungsstrategien: Zentral ist hier u.a. die Agensausblendung via Passivkonstruktionen. Ein pauschales „Ich-Tabu“ des akademischen Schriftdiskurses und eine leser-abgewandte Textgestaltung, etwa mit überkomplexen Sätzen und vielen Fußnoten, gelten dabei vor allem nicht mehr in den empirischen Wissenschaften. Stattdessen mehren sich Vorschläge für die funktionale Vereinfachung der Wissenschaftssprache unter Beibehaltung und Steigerung der Präzision (Roche 2018) ähnlich den Vereinfachungsbemühungen in der Verwaltungssprache und dem Ansatz der Verständlichen Sprache (Thieme 2010).
2. Schreibdidaktische Modellierung
Jüngste Modellierungsansätze zur akademischen Textproduktion stammen aus der prozessorientierten Schreibentwicklungsforschung. Dortige Verortungen des Schreibens als ein problemlösendes, prozedurales Handlungswissen über rekursive Arbeitsschritte finden im Kompetenzmodell von Knorr (2019) ihre Umsetzung. Ihr Sprachsensibles Kompetenzmodell wissenschaftlichen Schreibens bildet das Schreiben in einem detaillierten Anforderungsprofil ab. Dies stellt nicht nur ein geeignetes Diagnose- und Bewertungsinstrument dar. Gerade mehrsprachigen Schreibenden wird durch die reduzierte Komplexität die Möglichkeit des Zugangs und ein Ansatz zur Selbstreflexion eröffnet.
Literatur:
- Dürscheid, Christa (2016), Einführung in die Schriftlinguistik. Göttingen: Vandenhoeck.
- Knorr, Dagmar (2019), Sprachensensibles Kompetenzmodell wissenschaftlichen Schreibens. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 24: 1, 165–179.
- Roche, Jörg (2018), Wissenschaftssprache. In: ders. (Hrsg.), Berufs‑, Fach- und Wissenschaftssprachen. Kompendium Deutsch als Fremdsprache/ Deutsch als Zweitsprache. Band 8. Tübingen: Narr, 144–155.
- Thieme, Stephanie; Raff, Gudrun & Tacke, Konstantin (2010), Möglichkeiten und Grenzen der sprachlichen Optimierung von Rechtstexten. In: Fischer, Roswitha (Hrsg.), Sprache und Recht in großen europäischen Sprachen. Juristische Begriffsbildung im Spannungsfeld zwischen Fachsprachlichkeit und allgemeiner Verständlichkeit. Beiträge vom interdisziplinären Symposium am 23./24.4.2009 an der Universität Regensburg. Regensburg: Universitätsverlag Regensburg, 155–167.