(Silva Ladewig)
Global-Synthetic Meaning
Der Terminus Gobal-Synthetische Bedeutungsvermittlung drückt die in der modernen Gestikforschung weit verbreitete Annahme aus, dass Gesten eine ganzheitliche Gestalt bilden, in der sich die Bedeutung ihrer einzelnen Teile, wie etwa Handform, Orientierung der Handinnenfläche, Bewegung oder Position im Gestenraum, über die Bedeutung der gesamten Gestalt vermittelt (global, McNeill 1992, Kap. 1) und nicht analytisch aus der Summe der einzelnen Teile. Zudem können sich mehr als ein Bedeutungsaspekt in einer einzigen Geste vereinen. Dieser Aspekt wird unter dem Begriff „synthetisch“ gefasst (ebd.). Als Beispiel dienen der nach unten gerichtete Zeige- und Mittelfinger, die beide abwechselnd nach vorn und zurück bewegt werden, um das Laufen einer Person darzustellen. Laut McNeill wissen wir, dass das Bewegungsmuster der Geste die Aktivität des Laufens darstellt, da wir die Gesamtbedeutung der Geste –laufende Person– kennen. Diese setzt sich nicht analytisch wie folgt zusammen:
- Zeige+Mittelfinger = Beine einer Person
- Orientierung nach unten = Beine sind auf dem Boden und nicht in der Luft
- Bewegung der Geste = Bewegung der Beine
Die Geste wird außerdem als synthetisch kategorisiert, da sie verschiedene Bedeutungselemente vereint. Diese sind, je nach Kontext, „er/sie + laufen + auf dem Boden / einen Weg entlang“.
Mit diesem Terminus geht eine psychologische Perspektive auf gestische Bedeutungskonstitution einher, da McNeil annimmt, Gesten verkörperten bildliches Denken und eröffneten so ein ‚Fenster zum Geist‘. (Kognitiv-)Linguistische Ansätze der modernen Gestenforschung vertreten jedoch auch die Annahme, dass sich gestische Bedeutung partiell aus der Kombination der eben genannten Formparameter speisen kann. So zeigen bspw. Calbris (2011), Ladewig & Bressem (2013) oder Müller (2018), dass einzelne Formparamter semantisiert werden und so in Konventionalisierungsprozesse eintreten können. Hier zeigt sich das Sprachpotenzial von Gesten, d.h. ihre Fähigkeit, sich zu Gebärdensprachen zu entwickeln (Sprachliches Potenzial). Konventionalisierungsprozesse werden von McNeill’s Theorie hingegen nicht erfasst.
Literatur
- Calbris, Geneviève (2011), Elements of meaning in gesture. Amsterdam: John Benjamins Publishing Company.
- Ladewig, Silva H. & Bressem, Jana (2013), New insights into the medium hand – Discovering Structures in gestures based on the four parameters of sign language, Semiotica 197, 203–231.
- McNeill, David (1992), Hand and mind. What gestures reveal about thought. Chicago: University of Chicago Press.
- Müller, Cornelia (2018), How recurrent gestures mean: Conventionalized contexts-of-use and embodied motivation. In: Elisabeth Wehling & Eve Sweetser (Hrsg.), Special issue of the journal Gesture on ‚Gesture Pragmatics’. 278–306.
(Mehr zu diesem Thema im Modul 2 Kognitive Linguistik der Multilingua Akademie)